Es ist still, ganz still. Die Schüler der 9a des Wilhelm-Erb-Gymnasiums Winnweiler schauen gespannt nach vorne. Auf dem Pult sitzt die Pfalztheater-Schauspielerin Elif Esmen. Unter dem Pult liegen ein alter Fußball und ein großer, blauer Plastiksack. Zwei, vielleicht drei Minuten schaut Esmen in die Gesichter der Schüler. Dann beginnt sie. „Wenn hier bei uns Krieg wäre, wohin würdest du gehen?“, fragt Esmen die Schüler. Es folgt die dramatische Schilderung eines Raketeneinschlags in das Haus ihrer Familie, von dem nach dem Angriff nur noch der Keller erhalten ist. Und schon sind alle mitten in der Geschichte. „Was würdest du mitnehmen?“ Wieder spricht sie die Schüler direkt an.
In der folgenden halben Stunde entführt Esmen die Neuntklässler in dem von Janne Teller konzipierten Klassenzimmer-Theaterstück „Krieg – Stell dir vor, er wäre hier“ in ein Europa der Zukunft, in dem nach dem Zusammenbruch der Europäischen Union Krieg zwischen den einzelnen Staaten herrscht und die Demokratie als Staatsform nicht mehr existiert. Die Schwester der Protagonistin wird von Granatsplittern getroffen, ihr großer Bruder verliert durch eine Mine drei Finger. Ihr bester Freund und ihr kleiner Bruder werden vom Geheimdienst abgeholt. Heckenschützen sind eine tagtägliche Gefahr auf dem unvermeidlichen Weg mit dem Wassereimer zur einzigen Wasserquelle. Ihre Familie reduziert sich auf die Zahl „5“, die für fünf Flüchtlinge steht.
Nur noch im Nahen Osten herrscht Frieden. Doch es gibt kein Land, das die „dekadenten Menschen aus dem Norden“, die nicht Arabisch sprechen und nur Papier umdrehen können, aufnehmen will. Schließlich geling der Familie der Protagonistin mit einem der Flüchtlingstransporte die Flucht nach Anatolien, während ihr Bruder zurückbleibt, um mit der Miliz gegen die Griechen zu kämpfen. Die Pfalztheater-Schauspielerin lässt die Schüler in die Welt der Flüchtlingslager eintauchen, eine Welt, die von dem täglichen Kampf um die nackte Existenz geprägt ist und in der Fragen wie die Anerkennung des Asylantrags für die eigenen Zukunftsaussichten absolut zentral sind. Immer wieder bezieht Esmen die Schüler in das Theaterstück ein. Einmal tauscht die Schauspielerin ihren vom Roten Kreuz gestellten alten Pulli, den sie gerade aus dem blauen Plastiksack gezogen hat, gegen den neuen Pulli einer Schülerin, ein anderes Mal fordert sie einen Schüler auf, mit ihr Fußball zu spielen, um der Langeweile im Flüchtlingslager zu entkommen.
Nach zwei Jahren erhält die Familie schließlich Asyl in der Türkei. Sie lebt jetzt befristet in einer kleinen Wohnung und muss sich ohne Sprachkenntnisse und ohne festen Arbeitsplatz durch Kuchenverkauf und Putzen durchs Leben kämpfen. Beleidigungen durch Einheimische und eine „Behandlung als Mensch 3. Klasse“ sind an der Tagesordnung. Die Fremdheit in dem neuen Land, das der Familie Asyl gewährt hat und in dem die Familie auch in Zukunft leben wird, bestimmt auch den Schluss des Stücks, da auch nach Ende des Krieges in Europa der Traum von der Rückkehr in die alte Heimat nicht zu verwirklichen ist.
„Der Bezug zu Ereignissen der Gegenwart und der Perspektivwechsel, den die Schüler während des Stückes vollziehen müssen, sind zentrale Zielsetzungen des Theaterstücks“, erläutert Dramaturgin Melanie Pollmann im Anschluss an die Aufführung, weshalb sich das Pfalztheater für das Klassenzimmerstück von Janne Teller entschieden hat. Noch ganz unter dem Eindruck des Stücks und des starke Emotionen freisetzenden Spiels von Elif Esmen nutzen die Schüler die Gelegenheit zur Nachbesprechung mit der Dramaturgin. In zahlreichen Fragen und Beiträgen reicht das Spektrum der angesprochenen Themen von der politischen Aktualität des Stücks über die Art der Inszenierung bis zur Biographie der Schauspielerin. Ein starkes Stück, ein starker Theatervormittag am WEG.