WILHELM-ERB - EIN PFÄLZER GELEHRTER VON WELTRANG

Jeder Arzt, der sich mit Humanmedizin und Untersuchungsmethoden im Allgemeinen befasst hat, kennt den Namen "Wilhelm Erb" aus seinem Studium, zumindest von dem Begriff des "Erb'schen Punktes" her oder von der "Erb'schen Lähmung".

Viele Ergebnisse der Forschungen Wilhelm Erbs sind noch heute unentbehrliches Rüstzeuq eines jeden Arztes. Auch die allgemein bekannte Methode der Untersuchung der Sehnenreflexe durch Klopfen mit einem Hämmerchen knapp unterhalb des Kniegelenks geht auf Wilhelm Erb zurück. Ihm zu Ehren stiftete die "Gesellschaft deutscher Nervenärzte" an seinem 70. Geburtstag eine "Erb-Denkmünze", die seither alle zwei bis drei Jahre für hervorragende Arbeiten auf dem Gebiet der Nervenheilkunde verliehen wird und damit das Andenken an den hervorragenden Begründer dieser Disziplin bis heute bewahrt.

Wilhelm Erbs Familie stammte ursprünglich aus der Schweiz. Hans Erb, sein Ururgroßvater, war im Jahre 1701 als reformierter Schuldiener von Alterswilen im Thurgau nach Wiesloch, unweit Heidelberg, ausgewandert und hatte den Lehrerberuf in die nächsten Generationen weitergegeben. Sowohl Wilhelm Erbs Großvater als auch der Bruder seines Vaters hatten als Professoren an der Universität Heidelberg gelehrt. Wilhelm Erbs Vater, Friedrich Erb, Forstmeister in Winnweiler, war in Heidelberg geboren und kehrte nach seiner Pensionierung 1867 auch wieder dorthin zurück, wo sich sein Sohn inzwischen habilitiert und als Arzt niedergelassen hatte. Nach Winnweiler war er als königlich-bayerischer Beamter versetzt worden, nachdem er in anderen Revieren der bayerischen Pfalz Dienst getan hatte.

So ist also aus der Familiengeschichte der Erbs heraus verständlich, dass Wilhelm Erb sowohl eine lebenslange Anhänglichkeit an seinen Heimatort Winnweiler als auch an seine Wahlheimat Heidelberg hatte. Mit Winnweiler verband ihn das Andenken an seine Jugend, mit Heidelberg sein Beruf, aber auch die Herkunft seines Vaters und Großvaters. So schrieb er 1910: "Wenn ich auch schon mehr als 40 Jahre hier in Heidelberg eine zweite Heimat gefunden habe, hänge ich doch mit alter Liebe und Treue an dem geliebten Geburtsorte, in dem ich so glückliche Jugendjahre verbracht habe."1 Diese Jugendjahre in Winnweiler währten von seiner Geburt am 30. 11. 1840 bis ca. 1857, als er sich im Alter von erst 17 Jahren in Heidelberg immatrikulierte. Aber bereits einige Jahre zuvor (etwa ab 1854) musste er sich für längere Zeiträume von zu Hause wegbegeben um nämlich das Gymnasium - damals "königliche Studienanstalt" - in Zweibrücken besuchen zu können. Dort war eines von nur zwei existierenden Gymnasien in der Pfalz, und sowohl Wilhelm Erbs Vater als auch sein Großvater hatten familiäre und berufliche Verbindungen dorthin. Der junge Wilhelm Erb war also wegen seiner Studien schon früh von zu Hause weg, dürfte aber wohl seine Schul- und Semesterferien im elterlichen Forsthaus in Winnweiler verbracht haben.

Mit der Medizin hatte sich Wilhelm Erb ein Fachgebiet erwählt, das vorher in der Familie noch nicht studiert worden war. Wissbegierde, Fleiß und Beharrlichkeit werden dem Schüler und Studenten Wilhelm Erb zugeschrieben und so ist es nicht verwunderlich, dass er nach Semestern in Erlangen und München bereits 1861 dort sein Examen bestand und nach Assistentenjahren in München und Heidelberg kurz vor seinem 24.Geburtstag in München promovierte.

Als Assistent des berühmten Internisten Nicolaus Friedreich ging er wieder an seine Alma Mater Heidelberg. Zielstrebig erwirkte er die Zulassung als Arzt im Großherzogtum Baden und die Erlaubnis zur Habilitation. Schon ein Jahr später, noch als Vierundzwanzigjähriger, erhielt er die Venia Legendi mit der Note "vorzüglich befähigt" zuerkannt. Erb wirkte dann als Arzt, Forscher und Privatdozent und wurde 1869 als außerordentlicher Professor an die Universität Heidelberg berufen. Die Zeit bis 1880, als er einen Ruf als Direktor der Neurologischen Poliklinik nach Leipzig erhielt und damit ordentlicher Professor wurde, war hauptsächlich geprägt von der Erforschung neurologischer Krankheitsbilder - die Neurologie war damals noch Sache der Internisten - und der empirischen Untersuchung der Wirkung von Elektrizität auf Muskeln und Nerven beim Menschen. Schon bald gehörte er durch seine wissenschaftlichen Publikationen in die erste Reihe der damaligen Neurologen.

War es ihm auch schwergefallen, 1880 seine zweite Heimat Heidelberg zu verlassen, so blieb diese Zeit in Leipzig nur ein kurzes Intermezzo, denn schon zweieinhalb Jahre später, 1882, trat er die Nachfolge seines früh verstorbenen Lehrers Nicolaus Friedreich als Direktor der Medizinischen Uniklinik Heidelberg an und blieb auch dort trotz weiterer verlockender Rufe an andere Universitäten bis zu seiner Emeritierung 1907 bzw. bis zu seinem Tode 1921 und gelangte dort zu Weltruhm, sowohl als Arzt - er war Leibarzt der Königin von Schweden, Leibarzt der Großherzogin von Baden und russische Großfürsten konsultierten ihn in seiner Privatpraxis - als auch als Gelehrter. Er war Ehrenmitglied vieler wissenschaftlicher Gesellschaften und Mitglied der Akademie der Wissenschaften und wurde vielfach geehrt durch höchste deutsche und ausländische Orden, durch die Ernennung zum "Geheimen Rat" und später zum "Wirklichen Geheimen Rat", durch die Aufstellung seiner Bronzebüste in Heidelberg noch zu seinen Lebzeiten, durch die Benennung von Straßen nach ihm, sowohl in Winnweiler, wie in Heidelberg.

Wenn auch Heidelberg, die ehemalige Hauptstadt der Kurpfalz, zu Wilhelm Erbs Zeiten zu Baden gehörte und er in dieser "zweiten" Heimat so integriert war, dass er neben seiner Privatpraxis, Klinikleitung, Forschungs- und Lehrtätigkeit auch noch die Bürde eines Heidelberger Gemeinderates auf sich nahm, so ist er doch immer seiner "ersten" Heimat, der Pfalz und Winnweiler, sehr verbunden geblieben. Einerseits hatte er verwandtschaftliche Bande, denn sein Bruder Karl. war Forstmeister in Kaiserslautern, andererseits aber auch in seiner Sprache, in seinem Auftreten, in seinen Gefühlen. Vielfach wird von seinen Biographen das "Pfälzische" an seiner Person betont. So schreibt sein Schüler Alfred Hoche: "Er war ein ausgezeichneter Lehrer, den Praktikanten gegenüber erregbar, aufbrausend und derb in Pfälzer Manier, zornig, namentlich, wenn ein Student vergaß, dass er nicht nur 'Krankenmaterial', sondern Menschen vor sich hatte."2 Doch war er auch pädagogisch geschickt:" Selbst wenn man (als Praktikant) etwas Falsches sagte, kanzelte er einen nicht ab, es genügte ihm, wenn er feststellte, dass man überhaupt über die Sache nachgedacht hatte."3

Sein Schüler und Assistent Max Nonne macht in ihm eine "gesellige" Natur" aus: "Er hatte eine große Allgemeinbildung, kannte die Klassiker, liebte Musik und die Natur, besonders die Schönheiten der Pfalz und des Schwarzwaldes, sowie der Schweiz."4 Zu seiner Geselligkeit gehörte, dass er regelmäßig zu seinen Kegelabenden ging - bei einer solchen Gelegenheit soll ihm die Idee mit den Kniesehnenreflexen gekommen sein -- er lud regelmäßig Assistenten und ältere Vorlesungssemester zu sich zum Essen ein und war führendes Mitglied der "süddeutschen Wanderversammlung".

Zu Erbs prägnanten Analysen macht Professor Kehrer die Anmerkung: "Holzsschnittmanier. Jeder Satz kurz und gedrungen, kein Wort zuviel, keines zuwenig. Kristallklar, und dies alles in der gemütlichen Pfälzer Mundart."5

Mehrfach erwähnen die Biographen seine Abneigung gegen "Verwaltungskram" und zitieren ihn dazu in Mundart. "Himmeldunnerwetter! Schun widder das verfluchte Exame!"6 Oder "Da möcht man doch lieber dot sei als das ewige Examiniere!"'7

Zusammenfassend meint Kehrer zu dem Menschen Wilhelm Erb: "Rauhe pfälzische Schale um einen goldenen Kern."8 Ähnlich beurteilt ihn sein Schüler Viktor von Weizsäcker. "Wir hingen alle mit großer Liebe an dem alten Chef, dem großen Lehrer, dem vortrefflichen Arzt und dem guten weichherzigen Menschen, dem Mann aus einem Gusse."9 Die Verbindung mit seinem Heimatort Winnweiler riss trotz der Umstände bis zu seinem Tode nicht ab. Als sein immerwährender Optimismus und seine Lebensfreude durch den Tod von dreien seiner vier Söhne gebrochen war (1907, 1910 und 1914) , dankte er seinem "lieben alten Winnweiler" für die Beileidsbekundung und schrieb von den "doppelt schweren Tagen", die ihn als Vater und deutschen Patrioten getroffen haben und diagnostizierte an sich selber ein "von Unglück und Sorgen schwer umdüstertes Gemüt". 10

Zu seinem 80. Geburtstag empfing er, noch bei bester Gesundheit, eine Delegation seines Heimatortes. Er starb in Heidelberg am 29. 10. 1921, vierzehn Tage nach dem Tode seines Bruders Karl in Kaiserslautern.

Wichtiger als sein Ruhm ist nach Viktor von Weizsäcker seine Wirkung auf die nachfolgenden Ärztegenerationen: "Ein jeder, der ganz gründlich untersucht, ganz klar überdenkt, ganz kritisch abwägt, ganz menschlich sich dem Kranken zeigt, von

jeder Form ärztlicher Pose ganz rein ist, der hat von Erb gelernt und in ihm lebt Erb weiter."11

Friedrich Hüttenberger

Anmerkungen:

  1. Schreiben an die Gemeinde Winnweiler vom 4.12.1910
    anlässlich seiner Ernennung zum Ehrenbürger
  2. Hoche, Alfred, zitiert nach F. Kehrer
  3. Kehrer, F., Tischrede anlässlich der Wilhelm-Erb-Feier
    1965
  4. Nonne, Max, "W. Erb" in: Kolle, Große Nervenärzte,
    S.75.
  5. Kehrer, a.a.O.
  6. Nonne, a.a.O.
  7. Hoche , a.a.O..
  8. Kehrer, a.a.O.
  9. Weizsäcker, Viktor von, "Wilhelm Erb" in: Deutsche
    Medizinische Wochenschrift 52, 22. 11. 1921, S. 1596
  10. Gedenkblatt der Gemeinde Winnweiler "125.Geburtstag von
    Prof. Dr. Wilhelm Heinrich Erb"
  11. Weizsäcker, a.a.O
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