Der Zeitzeuge Siegfried Wittenburg berichtet über sein Leben in der DDR, die Wendezeit und das große Glück des Mauerfalls. Vortrag am WEG am 24.09.2019.

Aus Anlass des 30-jährigen Jahrestages des Mauerfalls am 9. November wurden Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 13 beeindruckende Fotos der untergegangenen DDR und der friedlichen Revolution von 1989 präsentiert. In Rostock geboren stellte die Ostsee für Siegfried Wittenburg kein „offenes Meer“, sondern einen „Grenzraum“ dar, der in dem Jugendlichen ständig die Sehnsucht nach Freiheit weckte. Er berichtete, dass von ca. 6.000 über die Ostsee Geflüchteten nur ein Sechstel Dänemark tatsächlich erreichte. Fluchträume stellten folglich westliche Musik der Rolling Stones oder von Led Zeppelin dar, die heimlich aus dem Radio aufgenommen wurde. Die Chance staatlicher Propaganda zu entgehen, bot eine auf dem Dach des Elternhauses montierte Antenne, die Richtung Schleswig-Holstein ausgerichtet war und somit den NDR empfangen konnte.

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Ein Klassenfoto aus der Grundschulzeit zeigt Siegfried Wittenburg als einen der wenigen Schüler ohne Pionieruniform. Er führt dies auf die religiöse Einstellung seines Elternhauses zurück, was aber automatisch dazu führte, dass die Familie ins Visier der Stasi geriet. Aus seiner umfangreichen Stasi-Akte präsentierte der Zeitzeuge immer wieder Auszüge der Aussagen von insgesamt zehn verschiedenen IMs, was den Wahnsinn des SED-Regimes zeigt. 

Die Nationale Volksarmee (NVA) stellt seiner Meinung nach die dunkelste Seite der DDR dar. Bei der Panzerbrigade in Rostock war er ständiger Propaganda und Ideologisierung ausgesetzt. Auch während dieser Zeit wurde er bespitzelt, indem seine Briefe geöffnet wurden und diese ebenfalls Eingang in die Stasi-Akten fanden.

Als Autodidakt kam Siegfried Wittenburg zur Fotografie, gründete mit Freunden einen Fotoclub und dokumentierte fortan das Leben in der DDR in Schwarz-Weiß. Dass diese Dokumente von düsteren Plattenbausiedlungen, Umweltverschmutzung, allgemeinen Zerfallserscheinungen, aber auch ästhetisch äußerst ambitionierten Aufnahmen ihm ein Leben auf der Kippe bescherten, führte allen seine Widerständigkeit vor Augen, zeigte aber auch, wie man sich in diesem System behaupten konnte.

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Siegfried Wittenburg möchte erinnern, ist dabei aber keinesfalls nur rückwärtsgewandt. Er führte den Schülerinnen und Schülern moderne digitale Überwachungsmethoden US-amerikanischer Großkonzerne vor Augen und appellierte daran, das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Begeistert ist er heute von der „Fridays-for-Future“-Bewegung. Abschließend wünschte er seinen jungen Zuhörern Tapferkeit, Glück und Mut zur Veränderung.

Der Verein der Freunde des WEG unter ihrem Vorsitzenden Helmut Mayer ermöglichte die Veranstaltung. Der Zeitzeuge Siegfried Wittenburg wiederum bedankte sich mit seinem Buch über die friedliche, freiheitliche und demokratische Revolution in Rostock von 1989, das fortan in der Bibliothek des WEG zur Ausleihe steht.

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